FLAMETTI

Vom Überleben der Kunst erzählt anhand ihres Sterbens.

Ein Abgesang nach Hugo Ball
LICHTHOF Theater URAUFFÜHRUNG 04.11.2016

Mit Florian Brandhorst, Maribel Dente, Eva Engelbach, Maureen Havlena, Veronika Hertlein, Johannes Nehlsen, Tom Pidde, Susanne Pollmeier und Sara-Maria Reifenscheid

Regie: Gero Vierhuff
Lieder: Eva Engelbach
Bühne: Marcel Weinand
Kostüme: Renata Kos
Licht: Stephanie Meier
Maskenbau & Ausstattungsassistenz: Imra Henseleit
Regie-Assistenz: Gabriel Cruz
Hospitanz: Haji Mirza Murad
_DSC0360_klein _DSC0423_klein _DSC0469_klein _DSC0567Flametti (c) Ellen Coenders _DSC0590_klein _EC11807Flametti (c) Ellen Coenders _EC11976_klein _EC11978Flametti (c) Ellen Coenders _EC12072Flametti (c) Ellen Coenders _EC12136Flametti (c) Ellen Coenders _EC12143Flametti (c) Ellen Coenders _EC12154Flametti (c) Ellen Coenders _EC12267Flametti (c) Ellen CoendersFlametti (c) Lars Krüger

Foto (c) Ellen Coenders / Lars Krüger

Das Zürich von 1916 ist eine kleine, kriegsumtoste Weltstadt mitten in Europa. Dort unterhält Max Flametti mehr schlecht als recht ein launiges Varietéensemble. Ein neues Programm soll das Ensemble vor dem Ruin retten und gleichzeitig Ordnung in die unübersichtlich gewordene Welt bringen: „Die Indianer“. Der Erfolg ist überwältigend, bis zwei Lehrmädchen Flametti auf Missbrauch verklagen. Der Sensationserfolg verkommt zu einem zynischen Ironiespektakel und reißt seinen „Häuptling“ mit in den Abgrund.

Hugo Balls pralle Milieustudie erzählt von einem künstlerischen Prekariat inmitten einer politisch turbulenten, technologisch entfremdeten Welt. Was kann, will und soll Kunst darin leisten? Hundert Jahre nach Gründung der dadaistischen Bewegung mobilisiert dieser opulente Theaterabend die anarchische Kraft des DADA – musikalisch, unterhaltsam und hochaktuell.

 

Interview mit Gero Vierhuff

„Ein neues, altes Künstlertheater“

Im Jubiläumsjahr der dadistischen Bewegung zeigt das LICHTHOF Theater die Adaption von Hugo Balls Romanklassiker „Flametti oder Vom Dandyismus der Armen“. Die Inszenierung von Gero Vierhuff ist eine pralle Mileustudie eines künstlerischen Prekariats inmitten einer politisch turbulenten, technologisch entfremdeten Welt, die auch heute noch gültige Fragen aufwirft. Hundert Jahre nach Gründung der dadaistischen Bewegung mobilisiert dieser opulente Theaterabend die anarchische Kraft des DADA und fragt: Was kann, will und soll Kunst darin leisten?

LICHTHOF | 100 Jahre DADA – ein Grund zum Feiern?

Gero Vierhuff | Ja. Unbedingt. Vor 100 Jahren nahm mit Dada eine Anti-Kunst im Zürcher „Cabaret Voltaire“ ihrenAnfang. Der Bruch mit jeglicher Tradition, die Zerschlagung aller herkömmlichen Kunstformen eröffnete ganz neue Möglichkeiten. Die zeitgenössische Kunst ist ohne Dada weder vorstellbar noch zu verstehen. Ohne Dada wäre vieles vielleicht alles, was uns heute an Kunst begegnet nicht da, bzw. nicht so wie es ist.

Abgesehen vom Jubiläum, was ist an Hugo Balls Roman „FLAMETTI – Vom Dandyismus der Armen“ heute erzählens- und inszenierenswert?

Wir haben einen sperrigen aber aussagekräftigen Untertitel gewählt: „Vom Überleben der Kunst erzählt anhand ihres Sterbens.“ Grundsätzlich liegt die Position des Künstlers außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft. Die Außensicht ermöglicht eine kritische Reflexion bestimmter gesellschaftlicher Verhältnisse. Dies gilt für Hugo Balls Roman „Flametti“, der hundert Jahre alt ist, genauso wie für unser heutiges Selbstverständnis als Künstler.

Es ist die Geschichte von Figuren, die ohne soziale oder finanzielle Absicherung mit aller Kraft versuchen, sich zu behaupten und ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Uns geht es um eine tiefere Sicht auf die Bedingungen des künstlerischen Arbeitens damals wie heute. Es wird ein opulenter Theaterabend.  Neben der Referenz an die anarchische Kraft des DADA, möchten wir ganz im Sinne Hugo Balls mit Mitteln des modernen Volkstheaters die Geschichte des Romans erzählen und dieses „neue, alte Künstlertheater“ wieder aufleben lassen: Das Varietétheater zieht in Form eines revueartiges Singspiel ins LICHTHOF Theater ein. Die Grenzen zwischen Bühne und Zuschauerraum verwischen, alle Zuschauer sind Gäste der „Fuchsweide“ – so heißt das Vergnügungsviertel im Roman – und gleichzeitig Beobachter und Teil der Theatersituation.

Der Roman von Hugo Ball selbst ist nicht dadaistisch. Was kann das Publikum von der Inszenierung erwarten?

Dass der Roman nicht dadaistisch ist, stimmt nicht ganz. Er ist kurz vor der „Erfindung“ von Dada erschienen und an vielen Ecken spürt man den neuen Geist auch schon. Der Übergang von einer expressionistischen Sprache zu der Dada–Sprache ist fließend. An einigen Stellen versucht Ball durch Lautmalerei bestimmte Atmosphären einzufangen. Die gesamte Erzählstruktur löst sich im Verlauf des Romans auch immer mehr auf. Zunächst wird relativ linear erzählt. Alles zielt auf die große Premierennacht hin, in der das neue Stück „Die Indianer“ gezeigt werden soll. Danach zerfällt nicht nur der Zusammenhalt im Ensemble, sondern auch die Erzählstruktur wird ungeordneter. Parameter wie Zeit und Ort werden ungenauer. Wir versuchen für diesen Erzählformen im unserer Bühnenfassung eine Entsprechung zu finden, die den Zuschauer trotzdem noch ausreichend an die hand nimmt.

Klar ist, dass die große Lust am Chaos und am Skandal, die Dada ausgemacht hat, hundert Jahre danach nicht mehr die gleiche schockierende Wirkung haben kann. Dennoch wollen wir versuchen – sozusagen auch als Hommage an Dada – verschiedene Techniken zu benutzen, die uns an Dada erinnern. Techniken der Collage, Simultangedichte, also geräuschvolle Cluster, die sich einer eindeutigen semiotischen Deutung entziehen. Masken, die die Bewegungen der Akteure verändern und natürlich die berühmt gewordenen Lautgedichte von Hugo Ball selber.